Er ist einer der dienstältesten Sprecher Deutschlands: Synchronlegende Jürgen Thormann spricht im exklusiven Media-Paten-Interview über seine ersten Erfahrungen im Geschäft, seine langjährige Synchronrolle Michael Caine und warum im Synchron früher nicht alles besser, aber vieles anders war.
Jürgen Thormann wurde 1928 in Rostock geboren und ist schon seit über 70 Jahren in der deutschen Synchronbranche aktiv. Das können nur wenige Kollegen von sich sagen (vielleicht von Eckart Dux). 2007 erhielt er den Deutschen Preis für Synchron für sein herausragendes Lebenswerk in diesem Bereich. Den Preis teilte er sich mit dem 2013 verstorbenen Kollegen Rolf Schult. Jürgen Thormann ist mit der Schauspielerin Uta Sax verheiratet. Neben seiner Synchronarbeit war er lange Zeit auf zahlreichen Bühnen der BRD unterwegs, spielte an Theatern in Güstrow, Bonn, Bremen, Bochum und Berlin. Er sprach zudem in vielen Hörspielreihen, u.a. in „Drei Fragezeichen“ oder „Benjamin Blümchen“.
Zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrags ist er stolze 92 Jahre alt und wirkt kein bisschen müde, wie er in unserem exklusiven Media-Paten Interview beweist:
Wir hatten bereits 2017 ein Video mit Jürgen aufgenommen, das wollen wir Euch natürlich nicht vorenthalten.
„Wer ist denn dieser furchtbare Mensch, der mir immer den Take versaut?!“
Tja, das war wohl der junge Jürgen Thormann bei seinem ersten Synchronjob – auch große Stimmen haben mal klein angefangen. Der aufgebrachte Synchronregisseur, der diesen Satz aussprach, wurde allerdings eines Besseren belehrt – Jürgen Thormann ist bis heute einer der bekanntesten und vor allem dienstältesten Synchronsprecher im deutschsprachigen Raum.
„Ich vermisse die alten Zeiten überhaupt nicht. […] Aber es hatte etwas mit Familientreffen zu tun. Wir standen alle gemeinsam vor dem Mikrofon.“
Schnell erarbeitete sich Jürgen Thormann einen Ruf als zuverlässiger und stimmlich bestens ausgestatteter Sprecher: markant, kräftig, seriös und vor allem „adelig“. Ein Attribut, dass ihm viele Rollen als gestandener Gentleman einbrachte. Michael Caine, Max von Sydow oder der 2017 verstorbene John Hurt sind unverkennbar mit Thormanns Stimme verbunden. Und sind und waren – ganz passend zum Adels-Attribut – alles Schauspieler, die von der Queen zum Ritter geschlagen wurden. Doch wie klingen diese Schauspieler eigentlich im Original? Und wie nahe ist ihnen Thormann mit seiner Interpretation tatsächlich gekommen?
„Ein Mann, dessen Ausstrahlung im Film seiner privaten Person absolut entspricht. Ein Aufrichtiger, ein Liebenswürdiger, ein Herr.“
Jürgen Thormann synchronisierte den britischen Gentleman Michael Caine bisher satte 64 Mal in Film und Fernsehproduktionen. Von seinen Anfängen in „Die Todesfalle“ über „Dressed to Kill“ (1980) bis zu seiner Rolle als Butler Alfred Pennyworth in den neuen Batman-Filmen von Christopher Nolan.
Hier hören wir Michael Caine im Original:
Und hier Michael Cain auf deutsch, gesprochen von Jürgen Thormann:
Caines gehobene und sehr britische Stimme übersetzt Thormann gekonnt ins Deutsche. Keine leichte Aufgabe, gehört der britische Schauspieler doch zu den bekanntesten englischen Schauspielstimmen – so unverwechselbar, dass jeder sofort sein Gesicht vor Augen hat. In der deutschen Synchro ist das nicht viel anders: Jürgen Thormann kippt hierzu immer mal wieder in die Oberstimme und achtet bei seiner Interpretation darauf, steht‘s der charakteristischen Schärfe von Michaels Caines Stimme nahezukommen, die ihrerseits auf einem tiefen und sonoren Fundament steht.
Hier nun die Audiopassagen mit dem dazugehörigen Bildern: Michael Caine, synchronisiert von Jürgen Thormann, in einem seiner Alterswerke. "Die letzte Liebe ds Mr. Morgan" aus dem Jahr 2013.
Auch dem renommierten Theater- und Filmschauspieler Max von Sydow leiht Jürgen Thormann seine Stimme. Max von Sydow ist ebenso eine echte Filmlegende, erlangte in den Filmen des schwedischen Regiemeisters Ingmar Bergmann internationale Bekanntheit (Wilde Erdbeeren, Das Siebente Siegel) und machte in den 60ern den Sprung nach Hollywood. 1965 spielte er die Bibelfigur Jesus Christus im christlichen Historienschinken „Die größte Geschichte aller Zeiten“ von Regisseur George Stevens. Jürgen Thormann übernahm ab 1970 überwiegend die Synchronisation des gebürtigen Schweden, eine berühmte Ausnahme stellt hierbei Friedkins Okkulthorrorklassiker „Der Exorzist“ (1973) dar, in dem Sydow den Pater Merrin spielte, der ausnahmsweise von Schauspieler Dieter Borsche synchronisiert wurde. Im folgenden Video hören wir Jürgen Thormann in der Rolle des Harry Haller aus der Literaturverfilmung von Herrmann Hesses Steppenwolf (1974). Wer spielte ihn? Na klar: Max von Sydow. Im Unterschied zu Jürgen Thormanns Synchronisation von Michael Caine fällt es ungeübten Ohren schwer, hier einen stimmlichen Unterschied herauszuhören - Thormann spricht die schwedischstämmige Schauspiellegende allerdings ein Stück weit kerniger und mit mehr Volumen als seinen britischen Kollegen Caine.
Im siebten Teil der Star Wars-Saga ("Das Erwachen der Macht" von 2015) spielt Max von Sydow übrigens den Jedi Lor San Tekka, der dem Sith Kylo Ren im Lichtschwertkampf unterliegt. Auch dort wird er natürlich von seiner Feststimme Jürgen Thormann gesprochen.
Unterschiede zur "Alten Zeit" des Synchron
Wie Jürgen Thormann ja schon im exklusiven Media-Paten Interview verriet, war die Arbeit im Synchron-Atelier bis in die 90er Jahre hinein eine gänzlich andere als sie heute ist. Obwohl er eine Bewertung dieser Veränderung vermeiden möchte, hört man aus seinen Aussagen doch eine gewisse Tendenz heraus:
„Heute geht man einsam und alleine ins Atelier. Macht seine Arbeit. Es ist ein eigentlich technischer Vorgang geworden, den man aber beherrschen sollte, damit nicht alles in Rutschen gerät zeitlich. Ich trauere der alten Zeit nicht nach, aber sie war anders.“
Früher standen die Synchronschauspieler oft gemeinsam hinter dem Mikrofon. Es sei ruhiger und angenehmer gewesen, da mehr Zeit vorhanden war, das Pensum war geringer als heute. Eine völlig andere Arbeitsweise als jetzt.
Hatten zwei Schauspieler im Film also eine gemeinsame Szene, standen sich auch ihre Synchronsprecher gegenüber – im selben Raum. Das war natürlich eine sehr schauspiel-ähnliche Arbeitsweise, die allerdings auch voraussetzte, dass die Sprecher (manchmal waren es auch mehr als nur zwei) zur selben Zeit den Aufnahmetermin wahrnehmen konnten. Mittlerweile haben sich die Aufnahmezeiten aber so sehr verändert bzw. verknappt, dass eine gemeinsame Studioaufnahme nicht nur zeitlich, sondern oft auch budgettechnisch ein Problem darstellt. Synchronisationen großer Hollywoodfilme müssen in einem Bruchteil der Zeit stattfinden – das liegt an der verschärften Raubkopiepolitik der großen Verleihfirmen (Serien werden z. B. erst kurz vor dem deutschen Sendetermin synchronisiert, damit sie nicht im Netz „leaken“ können), aber auch an der immer verbreiteten Politik, internationale Großproduktionen möglichst zeitgleich in vielen Ländern der Welt in die Kinos zu bringen – das kann man sich natürlich nicht mehr Wochenlang mit einer Synchronproduktion aufhalten. Die steigende Anzahl der synchronisierten Filme und Serien im deutschsprachigen Raum führt zudem zu vollen Terminkalendern der Sprecher und Sprecherinnen – auch aus diesem Grund sind gemeinsame Studiozeiten schwierig zu realisieren. Die Produktionsabläufe der Synchronstudios sind so eng geplant, dass die gesamte Kette zusammenfallen droht, falls mal ein Termin aus der Reihe tanzt. Da reichen schon 10 Minuten über der Zeit, um die ganze Studioindustrie in Berlin vor ein großes Problem zu stellen. Wenn nämlich Sprecher A zu lange im Studio 1 braucht, kommt er zu spät zum Termin in Studio 2, Sprecher B, der pünktlich in Studio A beginnen wollte, kann dies nicht und kommt daher wiederum zu spät zu seinem Anschlusstermin in Studio C usw. – das kann endlos so weitergehen.
So unterschiedlicher die Zeiten des alten Synchron im Vergleich zu heute gewesen sein müssen – qualitativ ist die Synchronarbeit heute keineswegs eine schlechtere. Wer sich dennoch darüber ärgern möchte, dass alle Bereiche unseres modernen Lebens so viel dem Diktum der Zeit unterworfen sind, dem sei als Ausgleich zum Schluss folgendes Video empfohlen. Wir sehen Michael Cain im Film „A Shock to the System“ von 1990 (zu Dt. „Mord mit System“) und hier zeigt sich der Schauspieler von einer Seite, die man nicht unbedingt als typisch britisch oder gar gentleman-like bezeichnen kann:
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